Mandanteninformation 05/2023
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat durch das Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22 – entschieden, dass die durch das Baulandmobilisierungsgesetz vom 14.06.2021 in das Baugesetzbuch (BauGB) eingefügte Vorschrift des § 13b BauGB mit dem Recht der Europäischen Union (EU) unvereinbar und deshalb unanwendbar ist. Das Urteil ist in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Revision des Antragstellers, einer anerkannten Umweltvereinigung, ergangen. Der angegriffene Bebauungsplan einer baden-württembergischen Gemeinde war im beschleunigten Verfahren nach § 13b BauGB ohne Umweltprüfung aufgestellt worden. Dies verstieß nach der Erkenntnis des BVerwG gegen die Anforderungen der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.06.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (sog. Strategische Umweltprüfung, SUP-Richtlinie). Bemerkenswert ist die damit offenbarte Strenge des EU-Rechts sowie die Entschiedenheit, mit der das BVerwG unter Verweis auf die vorangegangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Rechtslage als geklärt angesehen hat mit der Folge, dass es den Rechtstreit durchentschieden, den Bebauungsplan für unwirksam erklärt und von einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) abgesehen hat.
§ 13b BauGB in der Fassung des Baulandmobilisierungsgesetzes vom 14.06.2021 lässt die Einbeziehung von Außenbereichsflächen i.S. des § 35 BauGB in das beschleunigte Verfahren für Bebauungspläne der Innenentwicklung (§ 13a BauGB) unter Verzicht auf die Strategische Umweltprüfung (SUP) zu. Nach § 13b Satz 1 BauGB gilt dabei bis zum Ablauf des 31.12.2022 § 13a BauGB entsprechend für Bebauungspläne mit einer Grundfläche i.S. des § 13a Abs. 1 Satz 2 BauGB von weniger als 10.000 m2, durch die die Zulässigkeit von Wohnnutzungen auf Flächen begründet wird, die sich an im Zusammenhang bebaute Ortsteile anschließen. Das Verfahren zur Aufstellung eines solchen Bebauungsplans konnte nur bis zum Ablauf des 31.12.2022 förmlich eingeleitet werden; der Satzungsbeschluss nach § 10 Abs. 1 BauGB ist bis zum Ablauf des 31.12.2024 zu fassen (§ 13 b S. 2 BauGB). Eine gleichartige Vorgängerregelung über die Einbeziehung von engräumigen, an Siedlungen anschließenden Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren für Bebauungspläne der Innenentwicklung galt aufgrund des BauGB-Änderungsgesetzes vom 04.05.2017 bereits in der Zeit vom 13.05.2017 bis zum 31.12.2019.
Im Gesetzgebungsverfahren und in der deutschen Rechtsliteratur begegnete die wieder eingeführte Regelung des § 13b BauGB triftigen Einwänden, die schon der Vorgängerregelung entgegengehalten worden waren. Die Kritik geht dahin, dass diese Vorschrift den städtebaulichen Zielen der Außenbereichsschonung zuwiderläuft, eine weiter ausgreifende Zersiedlung der Landschaft besorgen lässt und wegen des Verzichts auf die SUP den Natur- und Artenschutz unterläuft. Trotzdem nahm die herrschende Meinung im deutschen Schrifttum bisher an, dass § 13b BauGB mit der europäischen SUP-Richtline 2001/42/EG vereinbar sei.
Der streitgegenständliche, im vorliegenden Normenkontrollverfahren angegriffene Bebauungsplan vom 27.02.2019 (geändert durch Beschlüsse vom 16.12.2020 und 16.03.2022) überplante ein ca. 3 Hektar großes Gebiet am Ortsrand der Gemeinde. Er setzte ein allgemeines Wohngebiet mit einer Grundflächenzahl von 0,4 fest. An einer Seite grenzt das Bebauungsplangebiet auf einer Länge von ca. 260 m an ein Wohngebiet. An einer anderen Seite des Plangebiets verläuft eine Straße; auf deren gegenüberliegenden Seite befindet sich ein Waldgebiet. Der Bebauungsplan wurde nicht im Regelverfahren, sondern im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung erlassen.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in erster Instanz den Normenkontrollantrag der Umweltvereinigung als unbegründet abgewiesen (VGH BW, Urteil vom 11.05.2022 – 3 S 3180/19) und gemeint, § 13b BauGB sei unionsrechtskonform; die Voraussetzungen des § 13 b BauGB seien hier gegeben, Ausschlussgründe nach § 13b Satz 1 i.V.m. § 13a Abs. 1 Satz 4 und 5 BauGB lägen nicht vor. Das Aufstellungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden; auch materiellrechtlich sei der Bebauungsplan nicht zu beanstanden.
Mit der hiergegen eingelegten Revision rügte die Umweltvereinigung, dass § 13b BauGB unionsrechtswidrig sei und deshalb nicht habe angewendet werden dürfen. Der Verzicht auf eine Umweltprüfung und einen Umweltbericht sei folglich verfahrensfehlerhaft, was zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führe.
Das BVerwG hat mit dem Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22 – der Revision stattgegeben. Als Revisionsgericht hat es nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO entschieden, dass der streitgegenständliche Bebauungsplan unwirksam sei. Nach der Erkenntnis des BVerwG litt der Bebauungsplan an Verfahrensfehlern, die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich sind und zur Unwirksamkeit des Plans führen.
Ausschlaggebend war nach den Entscheidungsgründen, dass der streitgegenständliche Bebauungsplan nicht ohne Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB) und ohne Umweltbericht (§ 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB) erlassen werden durfte. Nach der Erkenntnis des BVerwG vermögen die Vorschriften über das beschleunigte Verfahren nach § 13 b Satz 1 i.V.m. § 13a BauGB das im vorliegenden Fall bei der Planaufstellung angewandte Verfahren nicht zu tragen. § 13 b BauGB ist – so das BVerwG – unionsrechtswidrig und deshalb nicht anwendbar, weil er die Überplanung von Außenbereichsflächen auf der Grundlage einer unzulässigen Typisierung ohne Umweltprüfung zulässt (Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 8).
Die Regelung des § 13b i.V.m. § 13a Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 1 BauGB wird nach der Erkenntnis des BVerwG den Anforderungen der SUP-Richtlinie 2001/42/EG nicht gerecht. Das BVerwG weist darauf hin, dass diese Richtlinie gemäß ihrem Art. 1 das Ziel verfolgt, im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbezogen werden (Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 11). Zu diesem Zweck bestimmt Art. 3 Abs. 1 SUP-Richtlinie, dass die unter Art. 3 Abs. 2 bis 4 dieser Richtlinie fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung nach Art. 4 bis 9 SUP-Richtlinie unterzogen werden müssen. Gemäß dem Vorbehalt nach Art. 3 Abs. 3 SUP-Richtlinie ist bei Plänen und Programmen der genannten Art, die lediglich die Nutzung kleiner Gebiete auf lokaler Ebene festlegen oder nur geringfügige Änderungen vorsehen, eine Umweltprüfung nur dann erforderlich, wenn die Mitgliedstaaten bestimmen, dass derartige Pläne oder Programme voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Entsprechendes gilt nach Art. 3 Abs. 4 SUP-Richtlinie für andere Pläne und Programme. Dabei müssen die Mitgliedstaaten in jedem Fall die Kriterien des Anhangs II berücksichtigen, um sicherzustellen, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, von der Richtlinie erfasst werden (Art. 3 Abs. 5 Satz 2 SUP-Richtlinie; BVerwG, Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 11).
Wie das BVerwG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH hervorhebt, ist bei der Umsetzung dieser Vorgaben den Mitgliedstaaten nur ein eingeschränkter Ermessensspielraum eingeräumt. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass sämtliche Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung unterzogen werden (EuGH, Urteile vom 22.09.2011 – C‑295/10, Rn. 46, 53, vom 11.09.2015 – C‑473/14, Rn. 47 und vom 21.12.2016 – C‑444/15, Rn. 53). Es muss gewährleistet sein, dass kein Plan, der voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hat, der Umweltprüfung entzogen wird (EuGH, Urteil vom 22.09.2011 – C‑295/10, Rn. 53). Hierbei sind strenge Maßstäbe zu beachten. Diese sind nur gewahrt, wenn angesichts der Kriterien des Art. 3 Abs. 5 Satz 2 SUP-Richtlinie i.V.m. Anhang II der Richtlinie und der hiernach geltenden qualitativen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass erhebliche Umweltauswirkungen „a priori“, d.h. von vornherein nicht eintreten werden (EuGH, Urteil vom 18.04.2013 – C‑463/11, Rn. 39). Eine Festlegung, mit der das Ziel des Art. 3 Abs. 1 SUP-Richtlinie lediglich im Wege einer pauschalierenden Betrachtungsweise, d.h. im Allgemeinen und regelhaft, aber unter Hinnahme von Ausnahmen, erreicht wird, ist hiernach unzulänglich (BVerwG, Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 12).
Mit diesen Anforderungen ist § 13b BauGB nicht vereinbar (so BVerwG, Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 13). Die Rechtslage ist nach der Beurteilung des BVerwG durch die wiedergegebene Rechtsprechung des EuGH hinreichend geklärt (sog. acte éclairé), so dass es einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht bedurfte (vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.2021 – C‑561/19, Rn. 31 m.w.N.).
Das Verdikt des BVerwG richtet sich dagegen, dass der deutsche Gesetzgeber sich – abgesehen von der auf das Habitatrecht bezogenen Einzelfallprüfung nach § 13b Satz 1 i.V.m. § 13a Abs. 1 Satz 5 Alt. 1 BauGB – dafür entschieden hat, gemäß Art. 3 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 SUP-Richtlinie bestimmte Arten von Plänen festzulegen, die sich auf Außenbereichsflächen beziehen und gleichwohl im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung aufgestellt werden können. Diese Flächen sind zwar nach dem Gesetz quantitativ (durch die Grundflächenbegrenzung) und qualitativ (durch die Beschränkung auf Wohnnutzung sowie den Anschluss an im Zusammenhang bebaute Ortsteile) gekennzeichnet. Dies ist jedoch unzureichend, da bei den so umschriebenen Plänen erhebliche Umweltauswirkungen nicht in jedem Fall und auch nicht in der Regel ausgeschlossen werden können (BVerwG, Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 14). So können etwa, wie das BVerwG anmerkt, Wiesenflächen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten bieten und somit zur Artenvielfalt beitragen. Auf eine vermeintliche Prägung durch die benachbarte Bebauung und einen damit einhergehenden Verlust der Schutzwürdigkeit kann nicht abgestellt werden (BVerwG, Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 14).
Anders als im Rahmen der von § 13a BauGB privilegierten Innenentwicklung (dazu EuGH, Urteil vom 18.04.2013 – C‑463/11, Rn. 39), lässt sich nach der Erkenntnis des BVerwG (Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 15) für eine Außenentwicklung (wie nach § 13b BauGB) keine Art von Plänen definieren, die a priori voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen hat.
Nach den Grundsätzen zum Anwendungsvorrang des europäischen Unionsrechts (grundlegend EuGH, Urteil vom 15.07.1964 – C‑6/64) darf nationales Recht, wenn es mit dem Unionsrecht kollidiert und nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden kann, nicht angewendet werden (so EuGH, Urteile vom 18.03.2004 – C‑8/02, Rn. 58, vom 13.07.2016 – C‑187/15, Rn. 43 ff. und vom 24.07.2023 – C‑107/23, Rn. 95). Da eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 13b BauGB nicht möglich war und das BVerwG sich außerstande sah, eine eindeutige gesetzliche Regelung contra legem durch eine anders lautende zu ersetzen (Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 17 unter Bezugnahme auf EuGH, Urteile vom 24.01.2012 – C‑282/10, Rn. 25 und vom 18.01.2022 – C‑261/20, Rn. 28), war von der Unanwendbarkeit des § 13b BauGB auszugehen.
Das BVerwG ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass die planaufstellende Gemeinde es mit der Wahl des beschleunigten Verfahrens nach § 13 b Satz 1 i.V.m. § 13 a Abs. 2 Nr. 1, § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB anstelle des gebotenen Regelverfahrens rechtswidrig unterlassen hat, eine Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB durchzuführen und einen Umweltbericht nach § 2 a Satz 2 Nr. 2 BauGB zu erstellen. Darin liegt nach der Erkenntnis des BVerwG (Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, Rn. 19) ein gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlicher Verfahrensfehler, der nach § 4 Abs. 2 und 4 des Umweltrechtsbehelfsgesetzes von der Umweltvereinigung gerügt werden konnte.
Konsequenzen für die Rechtspraxis:
Mit der Unionsrechtswidrigkeit und Unanwendbarkeit des § 13b BauGB ist ein nicht unwesentlicher Baustein aus dem Instrumentarium des Baulandmobilisierungsgesetzes herausgebrochen worden. Dies wird die gemeindliche Planungspraxis ebenso wie die verwaltungsgerichtliche Kontrollpraxis beachten müssen. Überdies verdeutlicht das Urteil des BVerwG, dass die Unionsrechtswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften – anders als die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes, die nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Vorlage an das BVerfG führt und so in dessen Verwerfungsmonopol mündet – die „radikalere“ Folge der Unanwendbarkeit auslöst. Diese bedeutet, dass jedes Gericht wie auch jede Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, die unionsrechtswidrige Vorschrift des nationalen Gesetzesrechts unangewendet zu lassen.
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