Mandanteninformation 06/2023
Seit dem Inkrafttreten der Ersatzbaustoffverordnung am 01.08.2023 liegt erstmals ein Regelwerk vor, das die Herstellung mineralischer Ersatzbaustoffe und ihren Einbau in technische Bauwerke des Tiefbaus bundesweit einheitlich regelt. Die bundesweite Geltung einer Verordnung allein führt aber noch nicht zu einem bundesweit einheitlichen Vollzug und einer einheitlichen Interpretation der in ihr enthaltenen Begriffe und rechtlichen Anforderungen durch die zuständigen Behörden in den Bundesländern. Um einen bundeseinheitlichen Vollzug zu fördern, hat die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) einen Auslegungsleitfaden in Gestalt von FAQ („Frequently Asked Questions“) herausgegeben, der nun in einer erneuerten Version 2 veröffentlich wurde. Parallel hierzu haben manche Bundesländer eigene Auslegungsleitfäden veröffentlicht. Diese verstehen sich teilweise als „Lückenfüller“ in Bezug auf Fragen, die in der Ersatzbaustoffverordnung selbst nicht adressiert wurden. Zum Teil lassen sich jedoch auch konträre Auffassungen zwischen den Vollzugshinweisen der LAGA und denen der Landesebene ausmachen.
Am 21.09.2023 veröffentlichte die LAGA eine überarbeitete Version 2 ihrer Fragen und Antworten zur Ersatzbaustoffverordnung. Bereits kurz zuvor, am 31.08.2023, hatte das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) einen eigenen Katalog von Fragen und Antworten publiziert, um – wie es dort heißt – einen möglichst einheitlichen und klaren Vollzug der Verordnung in Bayern zu unterstützen.
Auch andere Bundesländer haben Hinweise für den Vollzug veröffentlicht. So hat das Landesamt für Umwelt in Rheinland-Pfalz im Juli 2023 eigene FAQs zur Ersatzbaustoffverordnung veröffentlicht und das Saarland bereits im Mai 2023 Auslegungshinweise und Übergangsregelungen. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit Erlass vom 27.07.2023 die zuständigen Behörden des Landes um Berücksichtigung der LAGA-FAQs in der jeweils aktuellen Version bei abfall‑, boden- oder wasserrechtlichen Vollzugsfragen betreffend die Ersatzbaustoffverordnung gebeten, formuliert in diesem Rahmen aber auch über die LAGA-Aussagen hinausweisende Hinweise für den Vollzug. Der nordrhein-westfälische Erlass vom 27.07.2023 ergänzt dabei den früheren Erlass vom 26.10.2022.
Zur rechtlichen Bedeutung von Vollzugshinweisen und FAQs
Aus rechtlicher Sicht kommt den von der LAGA veröffentlichten Auslegungshinweisen in Gestalt der FAQ Version 2 keinerlei rechtliche Verbindlichkeit zu. Vollzugshinweise der LAGA sind – wie das Bundesverwaltungsgericht bereits in seiner berühmten Tongrubenentscheidung klargestellt hatte – nicht mehr als die Äußerungen eines fachkundigen Gremiums. Eine Verpflichtung zur Beachtung der in den FAQ niedergelegten Interpretationen der bundesrechtlichen Regelung der Ersatzbaustoffverordnung durch die jeweiligen Landesbehörden folgt hieraus nicht.
Sofern – wie nun im Fall von NRW – einzelne Landesministerien die für den Vollzug der Ersatzbaustoffverordnung zuständigen Landesbehörden zur Beachtung der FAQ der LAGA auffordern, kann dem aber eine zumindest mittelbare rechtliche Wirkung zukommen. Denn auch wenn Vollzugshinweise rechtlich lediglich als verwaltungsinterne Anweisung im Verhältnis zwischen Landesministerium und den zuständigen Behörden zu verstehen sind, führt deren Beachtung gegenüber den Adressaten der Ersatzbaustoffverordnung (also vor allem den Erzeugern und Besitzern bestimmter Abfälle und Stoffe, den Betreibern von Aufbereitungsanlagen und den Verwendern von mineralischen Ersatzbaustoffen im Straßen‑, Erd- und Bahnbau) zu einer zumindest mittelbar-faktischen Bindungswirkung. Die Vollzugshinweise lassen insofern erkennen, welche Auslegung des Regelwerks für die Vollzugsbehörden als „die richtige“ vorgegeben wird.
FAQs als „Lückenfüller“ – Das Beispiel Ende der Abfalleigenschaft
Die benannten Vollzugshinweise/FAQs haben teilweise den Charakter von „Lückenfüllern“ mit Blick auf Fragestellungen, die in der Ersatzbaustoffverordnung selbst bislang nicht oder nicht mehr adressiert worden sind.
Ein Beispiel ist die Frage, ob oder unter welchen Umständen mineralische Ersatzbaustoffe, die in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Ersatzbaustoffverordnung hergestellt worden sind, das Ende der Abfalleigenschaft im Sinne von § 5 KrWG erreichen können.
Die LAGA FAQ Version 2 enthält zu diesem Themengebiet überhaupt keine Aussage. Dies erscheint konsequent, weil die Ersatzbaustoffverordnung selbst in der aktuell geltenden Fassung hierzu auch schweigt. Denn mit der ersten Novelle der Ersatzbaustoffverordnung vom 13.07.2023 wurde jeglicher Bezug zum Thema Ende der Abfalleigenschaft aus dem Regelwerk gestrichen.
Eine Konkretisierung der Anforderungen für das Abfallende von mineralischen Abfällen soll – so die Ankündigungen aus der Politik – künftig im Rahmen gesonderter Abfallende-Verordnungen der Bundesregierung erfolgen. Ein konkreter Vorschlag für eine solche Verordnung liegt bislang – soweit ersichtlich – jedoch nicht vor, soll aber gegenwärtig durch das Bundesumweltministerium erarbeitet werden.
Offenbar um diese Regelungslücke der Ersatzbaustoffverordnung zu schließen, enthalten sowohl der Erlass aus Nordrhein-Westfalen vom 27.07.2023 als auch die FAQ aus Bayern Vollzugshinweise zur Frage, unter welchen Voraussetzungen mineralische Ersatzbaustoffe das Abfallende erreichen können. Die Auslegungshinweise aus Nordrhein-Westfalen enthalten dabei den wichtigen – und rechtlich zutreffenden – Hinweis, dass gemäß ErsatzbaustoffV güteüberwacht in Aufbereitungsanlagen hergestellte Recycling-Baustoffe diese Anlagen bereits als Nicht-Abfälle verlassen können, wenn die Kriterien in § 5 Abs. 1 KrWG in diesem Zeitpunkt vorliegen. In diesem Zusammenhang stellt das nordrhein-westfälische Ministerium klar, dass dieses Ergebnis – wenn auch „im Einzelfall“ – auch hinsichtlich der höher schadstoffbelasteten Materialklassen RC‑2 und RC‑3 erreichbar sein soll. Auch die FAQ aus Bayern enthalten eine begrüßenswert deutliche Positionierung, wonach das Erreichen des Endes der Abfalleigenschaft für mineralische Ersatzbaustoffe nach Maßgabe des § 5 KrWG möglich sein muss.
Unterschiedliche Positionen der Vollzugshinweise/FAQs – Das Beispiel des Umlagerungsprivilegs
Betrachtet man die Positionen der LAGA einerseits und die der FAQ auf Landesebene andererseits, lassen sich teilweise auch divergierende Vorgaben ausmachen.
Ein Beispiel betrifft das Zwischen- und Umlagerungsprivileg gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) ErsatzbaustoffV. Dieses ist von großer Bedeutung insbesondere für Leitungsbauprojekte im Bereich der Energieinfrastruktur, also z.B. für den Ausbau und die Erhaltung von Strom- und Gasleitungen.
Liegen die Voraussetzungen des Privilegs vor, gilt die ErsatzbaustoffV nicht. Dies bedeutet, dass die Baufirmen und deren Auftraggeber, die mineralische Ersatzbaustoffe beim Leitungsbau verwenden, die Anforderungen gemäß ErsatzbaustoffV an den Einbau nicht beachten müssen, also u.a. nicht verpflichtet sind, ausschließlich güteüberwacht hergestelltes Material einzubauen, und z.B. auch nicht dazu verpflichtet sind, die konkrete Beschaffenheit der Grundwasserdeckschicht vor dem Einbau zu ermitteln.
Die LAGA FAQ Version 2 kommt mit Blick auf solche Baumaßnahmen zu dem – überzeugenden – Ergebnis, dass Aushub, Zwischenlagerung sowie anschließender Wiedereinbau von Bodenmaterial innerhalb ein- und derselben Leitungsbaumaßnahme dem Umlagerungsprivileg gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) ErsatzbaustoffV unterfällt. Denn zwar sei die Verfüllung von Leitungsgräben als Herstellung eines technischen Bauwerks zu betrachten. Wenn der Wiedereinbau jedoch in räumlicher Nähe zum Aushubort im Rahmen einer Leitungsbaumaßnahme erfolge (wobei die FAQ konkret auf denselben „Bauabschnitt“ Bezug nimmt), lägen die Voraussetzungen des Umlagerungsprivilegs gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) ErsatzbaustoffV vor, so dass die Ersatzbaustoffverordnung nicht anwendbar sei.
Die FAQ Version 2 der LAGA lässt allerdings erkennen, dass nach der dort vertretenen Auffassung eine vorherige Aufbereitung des Aushubmaterials vor dem Wiedereinbau (also insbesondere Sieben/Brechen) die Inanspruchnahme des Umlagerungsprivilegs prinzipiell ausschließen soll. Der Teufel steckt hier jedoch im Detail. Denn in einer Fußnote lässt die LAGA FAQ Version 2 wiederum erkennen, dass für den Fall des Aussiebens allein von Steinen oder pflanzlichen Bestandteilen das Umlagerungsprivileg doch gelten könne. Erfolge jedoch ein Aussieben von Bauschutt vor der Wiedereinbringung, soll es sich nach Ansicht der LAGA um einen Aufbereitungsverfahrensschritt handeln, der einer Güteüberwachung bedarf. Die ErsatzbaustoffV soll also gelten.
Ein hiervon abweichender Standpunkt wird in den FAQ aus Bayern vertreten, wonach eine Aufbereitung vor Wiedereinbau die Geltung des Umlagerungsprivilegs unter keinen Umständen ausschließen soll, unabhängig davon, welche Materialien vor dem Wiedereinbau ausgesiebt werden. Die Positionen der FAQ der LAGA und derjenigen aus Bayern schließen sich in diesem praxiswichtigen Punkte also partiell aus.
Fazit – Im Zweifel entscheiden die Gerichte
Die Ersatzbaustoffverordnung enthält – wie andere Regelwerke auch – eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe. Diese bedürfen stets einer Auslegung im Einzelfall. Die Vollzugshilfen der LAGA und diejenigen der einzelnen Bundesländer versuchen, Unklarheiten zu beseitigen und formulieren Handlungs- und Auslegungsempfehlungen für den Vollzug der Verordnung durch die nach Landesrecht zuständigen Behörden.
Eine rechtlich verbindliche Konkretisierung der auf der Ebene des Verordnungstexts verbleibenden Ungenauigkeiten können sie hingegen nicht bereitstellen. Für die verbindliche Auslegung und Konkretisierung des Regelwerks sind im Zweifel nur die Gerichte zuständig.
Bevor jedoch Gerichte entscheiden, entscheiden in der Praxis zunächst die zuständigen Behörden vor Ort. Die von der Ersatzbaustoffverordnung Betroffenen sind daher in Streitfällen gut beraten, verbleibende Spielräume der Verordnung in ihrem Interesse zu nutzen und gegebenenfalls mit den zuständigen Behörden über die „richtige“ Auslegung zu diskutieren. Im Rahmen solcher Diskussionen ist zu erwarten, dass die Behördenvertreter sich auf die Inhalte der LAGA FAQ bzw. auf entsprechende Vollzugshinweise auf Landesebene berufen werden. Die Adressaten der Ersatzbaustoffverordnung sollten die Inhalte dieser Leitfäden daher gut kennen und – sofern erforderlich – Gegenargumente in Stellung bringen.
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