Mandanteninformation 01/2025
Die am 16.07.2024 in Kraft getretene EU-Ökodesignverordnung enthält ein unmittelbar geltendes Verbot der Vernichtung unverkaufter Verbraucherprodukte. Dieses gilt ab dem 19.07.2026 für große Unternehmen (ab 250 Beschäftigte / Jahresumsatz > 50 Mio. €) in Bezug auf Bekleidung, Bekleidungszubehör und Schuhe. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Verstöße gegen das Verbot zumindest mit Bußgeldern zu ahnden. Vor diesem Hintergrund sollten sich die betroffenen Wirtschaftsakteure frühzeitig mit dem sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des Verbots vertraut machen. Die nachfolgende Mandanteninformation gibt hierzu erste Hinweise.
Mit der Verordnung (EU) Nr. 2024/1781 vom 13. Juni 2024 (im Folgenden: EU-Ökodesignverordnung) hat der EU-Gesetzgeber einen verbindlichen Rahmen für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für Produkte geschaffen (s. hierzu bereits unsere Mandanteninformation 08/2024). Kurz gesagt gilt hiernach: „Ohne Ökodesign kein Markt“. Die vom Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Produkte sollen nur dann in der EU in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie die für sie geltenden ökologischen Nachhaltigkeitsanforderungen einhalten. Die Verordnung gilt dabei – mit wenigen Ausnahmen – für alle physischen Waren, die in der EU in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, einschließlich Bauteilen und Zwischenprodukten. Für die Praxis von großer Bedeutung ist allerdings, dass die Vorgabe konkreter Ökodesignanforderungen für einzelne Produkte bzw. Produktgruppen der EU-Kommission im Wege sogenannter delegierter Rechtsakte vorbehalten ist. Solange diese Rechtsakte noch nicht existieren, fehlt es an verbindlichen Anforderungen für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer.
Anders verhält es sich in Bezug auf das für Bekleidung, Bekleidungsartikel und Schuhe geltende Verbot der Vernichtung unverkaufter Verbraucherprodukte. Das Kapitel VI (Artikel 23 bis 26) der Verordnung, in dem dieses Verbot geregelt ist, enthält keine bloße Rahmenvorgabe, sondern ein unmittelbar für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer geltendes Verbot der Vernichtung solcher Artikel, sofern es sich bei diesen um unverkaufte Verbraucherprodukte handelt. Einer Umsetzung oder Konkretisierung durch die EU-Kommission bedarf es für die Geltung des Vernichtungsverbots nicht (ggf. aber für die Statuierung von Ausnahmen hiervon, s. hierzu noch sogleich).
Vernichtungsverbot für Bekleidung, Bekleidungszubehör und Schuhe
Die zentrale Regelung des Kapitels VI enthält Art. 25 Abs. 1 der EU-Ökodesignverordnung. Hiernach ist ab dem 19.07.2026 die Vernichtung der in Anhang VII der Verordnung aufgeführten unverkauften Verbraucherprodukte verboten.
Zu den in Anhang VII genannten Produkten gehören Kleidung und Bekleidungszubehör sowie Schuhe, soweit diese den dort im Einzelnen unter Verweis auf die sogenannte „Kombinierte Nomenklatur“ aufgeführten (zollrechtlichen) Warencodes zugeordnet werden können. Zu beachten ist, dass bestimmte Warengruppen wie z.B. Gewirke und Gestricke, Baumwolle oder Teppiche somit von vornherein nicht unter das Vernichtungsverbot fallen. Nicht unter das Verbot fallen daher beispielsweise Stoffe als Vorprodukte der Bekleidungsherstellung („Meterware“), auch wenn sie an Verbraucher abgegeben werden sollten.
Die Geltung des Vernichtungsverbots setzt zudem – gewissermaßen als „ungeschriebene Voraussetzung“ – voraus, dass die Verordnung überhaupt anwendbar ist. Das Vernichtungsverbot gilt nämlich – wie die gesamte Verordnung – nur für solche Produkte, die zunächst auf dem EU-Markt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen worden sind (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 EU-Ökodesignverordnung). Unter einem Inverkehrbringen ist die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem EU-Markt zu verstehen (Art. 2 Nr. 40). Bereitstellung auf dem Markt ist wiederum definiert als jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe („any supply“) eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit (Art. 2 Nr. 39 und 40). Mit Blick auf Bekleidungsartikel und Schuhe wird in der Praxis häufig – wenn auch nicht immer – eine Konstellation vorliegen, in der die Produkte außerhalb der EU (in sogenannten „Drittstaaten“) produziert worden sind und durch Importeure (Art. 2 Nr. 44) auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht werden. In sämtlichen Fällen kommt es auf die erstmalige Bereitstellung auf dem Unionsmarkt an. Diese Voraussetzung bedarf der Auslegung im jeweiligen Einzelfall. An einem Inverkehrbringen auf dem EU-Markt fehlt es jedenfalls in Bezug auf solche Verbraucherprodukte, die in der EU hergestellt wurden, aber ausschließlich in „Drittstaaten“ (also außerhalb der EU) vermarktet werden.
Unter das Vernichtungsverbot des Art. 25 fallen die in Anhang VII der EU-Ökodesignverordnung genannten Produkte weiter nur, sofern sie als unverkaufte Verbraucherprodukte im Sinne der Verordnung eingestuft werden können. Mit dem Ausdruck „Verbraucherprodukt“ wird gemäß Art. 2 Nr. 36 EU-Ökodesignverordnung jedes Produkt mit Ausnahme von Bauteilen und Zwischenprodukten bezeichnet, das in erster Linie für Verbraucher bestimmt ist. Der Begriff „Verbraucher“ (im englischen Text: consumer) ist in der EU-Ökodesignverordnung nicht näher konkretisiert, gemäß Art. 2 Abs. 1 Unterabsatz 9 der EU-Ökodesignverordnung gilt jedoch die Begriffsbestimmung für „Verbraucher“ in Artikel 2 Nummer 2 der Warenkauf-Richtlinie (EU) 2019/771. Gemäß Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie wird mit dem Begriff jede natürliche Person bezeichnet, die zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen. Gegenbegriff zum Verbraucher ist der des Unternehmers, definiert als natürliche oder juristische Person, die gerade zu gewerblichen Zwecken tätig wird. Bekleidungsartikel, die z.B. ausschließlich zur Verwendung durch ein Unternehmen als Arbeitskleidung vorgesehen sind, unterfallen somit nicht dem Begriff des Verbraucherprodukts. Demgegenüber lässt die EU-Ökodesignverordnung Auslegungsspielräume insbesondere in Bezug auf solche Bekleidungsartikel, die in der Praxis sowohl durch Unternehmen als auch durch Verbraucher verwendet werden. Auch insofern bedarf es einer Auslegung im jeweiligen Einzelfall.
Dem Vernichtungsverbots nach Art. 25 Abs. 1 unterfallen gemäß der gesetzlichen Definition des unverkauften Verbraucherprodukts in Art. 2 Nr. 37 alle Verbraucherprodukte, die „nicht verkauft“ wurden. Auf den Grund für den fehlenden Verkauf kommt es nach dem Wortlaut der Verordnung nicht an. Beispielhaft benennt Art. 2 Nr. 37 als unverkaufte Verbraucherprodukte „Warenüberschuss, überhöhte Lagerbestände und totes Inventar sowie Produkte, die von einem Verbraucher auf der Grundlage seines Widerrufsrechts gemäß Artikel 9 der Richtlinie 2011/83/EU oder gegebenenfalls während einer vom Unternehmer gewährten längeren Widerrufsfrist zurückgegeben wurden“. Diese Aufzählung ist jedoch nur beispielhaft und hat keinen abschließenden Charakter, was sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt („…das nicht verkauft wurde, darunter…“; in der englischen Version „including“). Die Formulierung lässt somit erkennen, dass auch Verbraucherprodukte, die aus anderen Gründen nicht verkauft worden sind, als „unverkaufte Verbraucherprodukte“ einzustufen sind.
Hierfür spricht auch, dass die EU-Ökodesignverordnung in Art. 25 Abs. 5 eine Reihe von möglichen Ausnahmen von der Geltung des Vernichtungsverbots für unverkaufte Verbraucherprodukte vorsieht (s. hierzu noch sogleich), die nicht unter die in Art. 2 Nr. 37 genannten Beispiele fallen, wie z.B. die nicht kosteneffiziente Reparierbarkeit eines beschädigten Produkts. Hieraus folgt, dass auch der unterbliebene Verkauf eines Produkts wegen eines (reparierbaren) Mangels das Vorliegen eines unverkauften Verbraucherprodukts nicht ausschließen soll, auch wenn dieser Fall nicht in Art. 2 Nr. 37 genannt ist. Denn ansonsten hätte die für diese Konstellation vorgesehene Ausnahme in Art 25 Abs. 5 keinen Sinn, die ja nur für unverkaufte Verbraucherprodukte gilt.
Mögliche Ausnahmen vom Vernichtungsverbot durch EU-Kommission
Art. 25 Abs. 5 EU-Ökodesignverordnung ermächtigt die EU-Kommission, sogenannte delegierte Rechtsakte zur Ergänzung der EU-Ökodesignverordnung zu erlassen, in denen Ausnahmen vom Vernichtungsverbot gemäß Art. 25 Abs. 1 festgelegt werden können. Der Erlass solcher Ausnahmen steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt ihrer Angemessenheit aufgrund einer der in Art. 25 Abs. 5 genannten Gründe. Gemäß Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Buchst. f) der EU-Ökodesignverordnung kann eine Ausnahme zum Beispiel aufgrund der „Unverkäuflichkeit von Produkten aufgrund eines Verstoßes gegen Rechte des geistigen Eigentums, einschließlich gefälschter Produkte“ vorgesehen werden. Des Weiteren kommen als Ausnahmegründe in Betracht: Gesundheits‑, Hygiene- und Sicherheitsgründe, eine nicht kosteneffiziente Reparierbarkeit von Schäden, die fehlende Eignung der Produkte für den vorgesehenen Zweck, die Ablehnung von Produkten für die Verwendung als Spende, die fehlende Eignung für die Vorbereitung zur Wiederverwendung oder Wiederaufarbeitung, sowie der Umstand, dass die Vernichtung die Option mit den geringsten negativen Umweltauswirkungen ist. Der erste dieser delegierten Rechtsakte ist gemäß Art. 25 Abs. 5 letzter Unterabsatz bis spätestens zum 19.07.2025 zu erlassen. Wie weit die dabei vorgesehenen Ausnahmen im Einzelnen reichen werden, bleibt abzuwarten. Solange oder soweit die Kommission von dieser Befugnis keinen Gebrauch macht, bleibt es bei der strikten Verbotswirkung gemäß Art. 25 Abs. 1. Für die Praxis ist es vor diesem Hintergrund sehr wichtig, die weitere politische Entwicklung bei der Gestaltung entsprechender Rechtsakte durch die EU-Kommission zu beobachten.
Adressaten des Vernichtungsverbots
Das Vernichtungsverbot gemäß Art. 25 Abs. 1 Unterabsatz 1 der EU-Ökodesignverordnung gilt seinem Wortlaut nach umfassend („ist … verboten“). Klargestellt wird im angeschlossenen Unterabsatz aber, dass das Verbot bei direkter Anwendung nicht für Kleinst- und Kleinunternehmen gelten soll. Zudem gilt es für mittlere Unternehmen erst ab dem 19.07.2030. Auch KMU sind jedoch indirekt in die Verbotswirkung für große Unternehmen einbezogen. Denn gemäß Art. 25 Abs. 2 gilt das Verbot auch für diese, wenn ihnen unverkaufte Verbraucherprodukte zum Zwecke der Umgehung des Verbots geliefert werden.
Die danach erforderliche Einstufung von Unternehmen richtet sich nach der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission (s. Art. 2 Abs. 1 UAbs. 2 EU-Ökodesignverordnung). Kleinstunternehmen sind hiernach solche, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 2 Mio. EUR nicht überschreiten. Kleinunternehmen sind solche, die weniger als 50 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 10 Mio. EUR nicht übersteigt. Mittlere Unternehmen sind solche, die keine Kleinunternehmen sind, aber weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. EUR beläuft. Von einem großen Unternehmen ist schließlich ab einer Beschäftigtenzahl von 250 Personen bzw. einem Jahresumsatz von mehr als 50 Mio. Euro zu sprechen.
Rechtsfolge
Die Reichweite des Vernichtungsverbots gemäß Art. 25 Abs. 1 EU-Ökodesignverordnung ergibt sich aus dem Vernichtungsbegriff gemäß Art. 2 Nr. 34 der Verordnung. Vernichtung ist hiernach „die vorsätzliche Beschädigung oder Entsorgung eines Produkts als Abfall, mit Ausnahme der Entsorgung zum alleinigen Zweck der Bereitstellung des entsorgten Produkts zur Vorbereitung zur Wiederverwendung, einschließlich der Instandsetzung oder der Wiederaufarbeitung“.
Der jeweilige Adressat des Vernichtungsverbots darf somit das jeweilige Produkt weder vorsätzlich beschädigen, noch darf er es „entsorgen“. Die deutsche Sprachfassung der Verordnung erscheint an dieser Stelle auslegungsbedürftig. Ein vergleichender Blick in andere Sprachfassungen spricht dafür, dass der Verordnungsgeber mit dem Verbot der “Entsorgung eines Produkts als Abfall“ (im Englischen: „discard“, was der „Entledigung“ gemäß Formulierung der Abfallrahmenrichtlinie entspricht) bereits das „zu Abfall werden lassen“ ausschließen wollte. Dies entspricht einem durch die Verordnung statuierten Vermeidungsgebot.
Eindeutig vom Vernichtungsverbot in diesem Sinne ausgenommen ist jedoch eine Entsorgung im Wege der „Vorbereitung zur Wiederverwendung“. Hiermit wird auf das gleichnamige Verwertungsverfahren im Sinne von Art. 3 Nr. 16 der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG Bezug genommen. Hierunter fällt „jedes Verwertungsverfahren der Prüfung, Reinigung oder Reparatur, bei dem Erzeugnisse oder Bestandteile von Erzeugnissen, die zu Abfällen geworden sind, so vorbereitet werden, dass sie ohne weitere Vorbehandlung wiederverwendet werden können“. Als Wiederverwendung ist dabei gemäß Art. 3 Nr. 13 Richtline 2008/98/EG die Verwendung von Erzeugnissen „für denselben Zweck, für den sie ursprünglich bestimmt waren“, zu verstehen.
Bekleidungsartikel und Schuhe, die als unverkaufte Verbraucherprodukte vom Vernichtungsverbot erfasst sind, dürfen daher im Ergebnis nicht mit der Maßgabe an ein Entsorgungsunternehmen abgegeben werden, dass dieses für eine physische Vernichtung der Waren im Rahmen der Verbrennung (energetische Verwertung oder thermische Beseitigung) oder auch nur im Wege eines stofflichen Recyclingverfahrens (z.B. „fiber to fiber“) sorgen soll. Denn damit würde bereits das abgebende, aber zur Einhaltung des Vernichtungsverbots verpflichtete Unternehmen gegen die Regelung der Verordnung verstoßen.
Zulässig bleibt aber die Abgabe der Ware an ein Entsorgungsunternehmen zum Zwecke der Sortierung und Prüfung der Ware auf ihre weitere Gebrauchstauglichkeit und zur ggf. anschließenden Vermarktung bzw. Nutzung im Sinne des ursprünglichen Produktzwecks (also als Kleidungsstück oder Schuh).
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