Mandanteninformation 09/2025
Eine Analyse des Koalitionsvertrags ergibt wenige konkrete Anhaltspunkte, wie die Facetten einer Circular Economy unter der neuen Bundesregierung weiterentwickelt werden sollen. Das kann als Chance gesehen werden. Denn wo Vorfestlegungen fehlen, bleibt die politische Arena offen für die Erfahrungen und Perspektiven der Wirtschaft.
Die 100-Tage-Schonfrist läuft: Gut drei Monate werden traditionell einer neuen Bundesregierung eingeräumt, bevor die kritische Auseinandersetzung mit ihrer Arbeit durch Opposition und Medien beginnt. Gleichzeitig werden die wichtigen politischen Projekte oft schon zu Beginn einer Legislaturperiode ins Werk gesetzt. Zu Recht blicken daher verschiedene Branchen darauf, was mit Blick auf den Koalitionsvertrag hinsichtlich der Entwicklung der Circular Economy von der Bundesregierung zu erwarten ist.
Kreislaufwirtschaft
Auf Grundlage der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie soll ein Eckpunktepapier mit kurzfristig realisierbaren Maßnahmen erarbeitet werden (Zeile 1218 f.)
Zu spezifischen Aspekten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts heißt es: Die ökologische Gestaltung der Beteiligungsentgelte (§ 21 Verpackungsgesetz) soll reformiert und die EU-Verpackungsverordnung 2025/40 (PPWR) „praktikabel“ umgesetzt werden (Zeilen 1220 f.). Geplant sind weiter eine Stärkung der Strategien zur Abfallvermeidung, zum Rezyklateinsatz und der Shared Economy (Zeilen 1222 f.). Bei Batterien und Elektrogeräten soll die Abfallsammlung optimiert und im Textilbereich eine erweiterte Herstellerverantwortung eingeführt werden (Zeilen 1223 f.).
Damit bleibt Raum für eine deutlichere Handschrift der neuen Bundesregierung.
Im Einzelnen: Die aktuelle Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie stammt von 2024, also von der vorigen Bundesregierung. Wenn es im Koalitionsvertrag heißt, sie solle als Grundlage für kurzfristig realisierbare Maßnahmen dienen, zeigt dies politische Kontinuität: Trotz Wechsel der Koalitionsparteien und trotz Farbwechsel von Grün auf Rot im Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit soll die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie nach dem Koalitionsvertrag eine gewisse Steuerungswirkung entfalten.
Gleichzeitig droht die Gefahr, mit „kurzfristig realisierbaren Maßnahmen“ nur low hanging fruits zu ernten. Die grundlegende Transformation der Wirtschaft hin Richtung Circular Economy braucht jedoch mehr als das. Dabei gilt, dass für eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie mit Blick auf die zahlreichen unionsrechtlichen Circular-Economy-Vorgaben ohnehin wenig eigener Gestaltungsspielraum bleibt. Wo aber Impulse gesetzt werden können (auch in die Arena der EU-Gesetzgebung hinein), sollte die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie als umfassende Strategie unter der neuen Bundesregierung fortentwickelt werden, damit auch mittel- und langfristig zu realisierende Maßnahmen angestoßen werden können.
Ein Großteil der übrigen Regelungsziele zur Kreislaufwirtschaft, die der Koalitionsvertrag nennt, steht ohnehin zur Entscheidung an. Insoweit geht der Koalitionsvertrag inhaltlich nicht darüber hinaus. Die EU-Verpackungsverordnung 2025/40 muss ungeachtet ihrer Rechtsnatur als EU-Verordnung in großen Teilen „umgesetzt“ werden. Davon wird auch § 21 Verpackungsgesetz (ökologische Gestaltung der Beteiligungsentgelte) betroffen sein, denn Art. 6 Abs. 8 der neuen EU-Verpackungsverordnung macht nähere Vorgaben zu den Beteiligungsentgelten. Diese hängen allerdings sachlich ab von delegierten Rechtsakten der EU-Kommission zu Kriterien für die recyclinggerechte Gestaltung und Leistungsstufen für die Recyclingfähigkeit. Eine Reform des Rechtsrahmens der Beteiligungsentgelte steht also ohnehin an. Ob die im Koalitionsvertrag angesprochene Stärkung des Rezyklateinsatzes über die von der EU-Verpackungsverordnung 2025/40 geforderten Vorgaben hinausgehen, ist unklar.
Ähnliches gilt für die erweiterte Herstellerverantwortung im Textilbereich: Die Abfallrahmenrichtlinie wird gerade novelliert und wird nach derzeitigem Stand Regelungen über die erweiterte Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility/EPR) enthalten. Darüber hinausgehende Zielvorgaben enthält der Koalitionsvertrag nicht.
Welche Art der Förderung für welche Art einer Shared Economy geplant ist, bleibt offen.
Chemisches Recycling
Die neue Bundesregierung will das chemische Recycling von Kunststoffen unterstützen (Zeile 183). Konkret soll das chemische Recycling in die bestehende Abfallhierarchie eingefügt werden (Zeilen 1221 f.).
Das Thema des chemischen Recyclings greift aktuelle Debatten auf. So hat beispielsweise die Renewable Carbon Initiative (mit Mitgliedern wie Beiersdorf, Continental oder Henkel) jüngst ebenso klare Rahmenbedingungen für chemisches Recycling gefordert wie das Umweltbundesamt. Auch wenn das chemische Recycling in die Abfallhierarchie eingefügt werden soll, sind grundlegende Fragen zu klären, etwa ob hierfür überhaupt nationale Umsetzungsspielräume bestehen und, sollte dies der Fall sein, wo genau in der Abfallhierarchie das chemische Recycling eingefügt werden soll.
Stahlrecycling
Als kurzfristig stark wirksame Maßnahme zur Dekarbonisierung soll das konsequente Recycling von Stahlschrott unterstützt werden (Zeilen 173 f.). Unerwähnt bleibt, dass das Recycling von Stahlschrott auf Unionsebene erst jüngst entscheidend geschwächt wurde durch die neu errichteten bürokratischen Hürden für Abfallverbringungen (auch für solche innerhalb der EU), die die auf Importe und Exporte angewiesene Stahlrecyclingwirtschaft bereits im Mai nächsten Jahres hart treffen werden.
Ersatzbaustoffe
Nachdem die Ersatzbaustoffverordnung 2023 – endlich – in Kraft getreten ist, soll diese nunmehr um spezifische Regelungen zum Abfallende ergänzt werden (Zeile 764). Diese Absicht ist allerdings nicht neu: Bereits Ende 2023 hat das damalige BMUV ein „Eckpunktepapier zur Abfallende-Verordnung für bestimmte mineralische Ersatzbaustoffe“ vorgelegt, das seitdem streitig diskutiert wird. Die dazu geführte Auseinandersetzung zwischen Vertretern einer liberalen und einer restriktiven Lösung wird im Koalitionsvertrag nicht aufgegriffen und entschieden. Die zentrale Frage, in welchem Umfang Ersatzbaustoffen das Abfallende ermöglicht werden soll, bleibt damit weiter offen.
Rohstoffe
Ziel der Bundesregierung ist es, „den Primärrohstoffverbrauch so weit wie möglich zu reduzieren, heimische sowie europäische Ressourcen besser zu nutzen, Rohstoffimporte zu diversifizieren und Handels- und Rohstoffpartnerschaften auf Augenhöhe abzuschließen“ (Zeilen 302 – 304). Dabei soll die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie pragmatisch umgesetzt und eine Digitalisierungsinitiative zur Schließung von Stoffkreisläufen gestartet werden (Zeilen 304 f.).
Es muss sich zeigen, was „pragmatisch“ in diesem Zusammenhang bedeutet. Jedenfalls fällt es auf, dass das Wort oft im Zusammenhang mit Themen der Umweltpolitik steht (neben der Kreislaufwirtschaftsstrategie [Zeilen 304 f.] bezieht es sich auf die Wasserstoffwirtschaft [Zeilen 141, 1097], Erleichterung der Genehmigungen zur Gewinnung heimischer Rohstoffe [Zeilen 306 f.] und Energiewende [Zeile 934]). Wünschenswert ist, dass mit der Formulierung „pragmatisch“ ein starker Fokus auf die spezifischen Sachanforderungen zum Ausdruck gebracht werden soll.
Batterien
Der Aufbau der Batteriezellfertigung inklusive der Rohstoffgewinnung, des Recyclings und des Maschinen- und Anlagenbaus soll weiter staatlich gefördert werden (Zeilen 217 f.), auch wenn die alte Bundesregierung hier zuletzt – Stichwort Northvolt – kein glückliches Händchen hatte. Der Koalitionsvertrag führt diesen Punkt im Rahmen seines Programms für die Automobilindustrie an; betont wird die Wichtigkeit eines verlässlichen Auf- und Ausbaus der Batterieforschung auch im Zusammenhang mit der klimaneutralen Mobilität [Zeilen 2527 – 2530]).
Dass der Koalitionsvertrag die Gewinnung von Lithium als Ziel ausdrücklich adressiert (Zeilen 310 f.), lässt darauf schließen, dass die Automobilbranche lediglich als ein wichtiger Anwendungsbereich genannt wird und damit keine Beschränkung auf diesen Bereich zum Ausdruck gebracht werden soll. Denn dass Speichertechnologien, insbesondere Batterien, auf vielen Ebenen von Bedeutung sind, ist bekannt. Zudem soll nach dem Koalitionsvertrag die Forschung auch im Bereich der Speichertechnologien ausgebaut werden (Zeile 2523 – 2525).
Unionsrecht
Der Umgang mit zahlreichen Unionsrechtsakten aus dem Bereich der Circular Economy wird zeitlich in die 21. Legislaturperiode fallen. So muss etwa das deutsche Recht an die EU-Batterieverordnung (EU) 2023/1542 angepasst werden (das geplante Batterierecht-EU-Anpassungsgesetz hat sich nach dem Diskontinuitätsgrundsatz erledigt); die Novelle der Abfallrahmenrichtlinie mit ihren Schwerpunkten auf Alttextilien und Nahrungsmitteln geht gerade ihrer Verabschiedung entgegen – ihre Umsetzung in nationales Recht wird eine wesentliche Aufgabe des neu aufgestellten Bundesumweltministeriums sein; der durch die EU-Verpackungsverordnung 2025/40 ausgelöste Umsetzungsbedarf wurde bereits erwähnt.
Der Koalitionsvertrag deutet an mehreren Stellen an, einer über die Mindestanforderungen des Unionsrechts hinausgehenden Fortentwicklung des deutschen Rechts zurückhaltend gegenüberzustehen. Von 1:1‑Umsetzungen der Richtlinien ist die Rede (bezüglich der die Industrie betreffenden EU-Richtlinien [Zeile 148], bezüglich der Industrie-Emissionsrichtlinie und der EU-Luftqualitätsrichtlinie [Zeile 1201]) und von einer Ablehnung von Goldplating (bezüglich der Finanzregulierung [Zeilen 1563 f.]). Deutlich etwa auch: „Unnötige Belastungen durch die europäische Ebene verhindern wir.“ [Zeile 2002], gefolgt von einer Reihe abgelehnter Positionen einschließlich der „unüberschaubare[n] Menge delegierter Rechtsakte“ (Zeilen 2007 f.).
Hierbei ist daran zu erinnern, dass in einem integrierten Binnenmarkt Harmonisierungen erst die Voraussetzungen für den grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Dienstleistungen bilden. Delegierte Rechtsakte als Konkretisierungen von Rechtsvorgaben sind unerlässlich und sorgen gerade für Rechtssicherheit. Funktional sind delegierte Rechtsakte mit Rechtsverordnungen im deutschen Recht vergleichbar. Auch deren Menge dürfte man als Außenstehender als unüberschaubar bezeichnen können. Dennoch sind sie dem Grunde nach unerlässlich – weder können die nötigen Details im Gesetz bzw. in den EU-Verordnungen/EU-Richtlinien sinnvoll geregelt werden noch kann auf Details verzichtet werden, soll ein Binnenmarkt von Portugal bis Finnland funktionieren.
Richtig ist aber auch, dass in jedem Einzelfall gesondert geprüft werden muss, was konkret zur Erreichung des Regelungsziels erforderlich ist. Gerade auch im Bereich der Circular Economy zeigt die praktische Erfahrung, dass Probleme oft nicht auf der Normebene, sondern beim Vollzug oder bei einer realistischen Betrachtung der wirtschaftlichen Situation auftauchen.
Fazit
Der Koalitionsvertrag enthält, soweit er den Bereich der Circular Economy betrifft, keine auskonturierten Konzepte oder Pläne. Das ist einerseits zu bedauern, kann andererseits aber auch als Chance gesehen werden: Wo keine Vorfestlegungen existieren, bestehen Gestaltungsspielräume. Diese können Wirtschaftsakteure nutzen, um Impulse für die anstehenden Reformen zu geben.
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