Mandanteninformation 04/2024
Die Vergabepraxis zeigt, dass öffentliche Auftraggeber gerade im Bereich der Abfallentsorgung vermehrt Vertragsstrafen und Kündigungsrechte bei Verletzung der Leistungspflichten in den Vertragsbedingungen vorschreiben. Die Vertragsstrafen bleiben während der Leistungserbringung auch nicht nur Theorie, sondern werden vom öffentlichen Auftraggeber aufgrund von Schlechtleistung immer häufiger – bis zur rechtlich zulässigen Höchstgrenze – geltend gemacht. Ein Grund hierfür ist oftmals eine qualitativ schlechtere Leistung des Auftragnehmers, weil diesem vor allem qualifiziertes Personal fehlt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Vertragsstrafen vergaberechtlich zulässig sind und welche Auswirkungen verwirkte Vertragsstrafen sowie außerordentliche Kündigungen auf die Beteiligung eines Unternehmens bei einer Ausschreibung haben.
Möglichkeiten der Einflussnahme auf Vertragsbedingungen
Ausschreibungen im Entsorgungsbereich werden in der Regel im offenen Verfahren vergeben. Im offenen Verfahren gibt der öffentliche Auftraggeber den Vertrag und somit auch Vertragsstrafen sowie außerordentliche Kündigungsrechte einseitig vor. Dem bietenden Unternehmen ist es im offenen Verfahren versagt, über diese vertraglichen Vorgaben mit dem öffentlichen Auftraggeber zu verhandeln. Ändert der Bieter Vertragsstrafen und Kündigungsrechte aus den Vergabeunterlagen mit seinem Angebot ab, ist er nach den vergaberechtlichen Vorgaben zwingend vom Verfahren auszuschließen.
Bewerbern steht es offen, durch Fragen eine Änderung des Vertrages anzuregen. Ob und wie der öffentliche Auftraggeber Vertragsstrafen und Kündigungsreche ändert, steht jedoch in seinem freien Belieben. Lediglich sofern dem Bieter durch eine Vertragsstrafe oder ein Kündigungsrecht eine unzumutbare Bedingung aufgebürdet wird, liegt ein Vergaberechtsverstoß vor, der den öffentlichen Auftraggeber zur Änderung des Vertrages verpflichtet. Unzumutbar ist eine Bedingung, wenn für den Bieter eine kaufmännisch vernünftige Angebotskalkulation nicht möglich ist und somit vom Bieter das Risiko nicht durch ein sogenanntes Risikoentgelt kalkuliert werden kann. Die Grenze der Unzumutbarkeit wird allerdings nur in wenigen Ausnahmefällen erreicht. Kündigungsrechte wurden von der vergaberechtlichen Spruchpraxis beispielsweise dann als unzumutbar angesehen, wenn diese auf Umständen beruhen, die allein in der Sphäre des Auftraggebers liegen (z. B. Kündigung bei Änderung der Abfallsatzung).
Keinen Vergaberechtsverstoß stellt es dar, wenn die Vertragsklausel AGB-rechtswidrig ist. Vertragsklauseln in Vergabeunterlagen werden von vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen nicht auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit geprüft, da sie keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 6 GWB sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.12.2021, Verg 16/21). Demgemäß wurde jüngst durch das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigt, dass eine eigenständige AGB-rechtliche Inhaltskontrolle von Vertragsklauseln nach dem Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB im Vergabenachprüfungsverfahren nicht stattfindet (Beschluss vom 6.12.2023, Verg 7/23).
Vertragsstrafen und Kündigungsrechte können demnach im Vergabeverfahren nur im Ausnahmefall erfolgreich als Vergaberechtsverstoß gerügt werden. Zu hinterfragen ist aber, ob eine Kalkulation des Angebotes unter Berücksichtigung eines Risikoentgeltes noch möglich ist.
Gleichwohl muss der öffentliche Auftraggeber bedenken, dass wenn er während der Leistungserbringung Vertragsstrafen geltend macht oder den Vertrag außerordentlich kündigt, diese Vorgaben sodann auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit überprüft werden können. Ein Unternehmen kann sich auf die Unwirksamkeit einer Vertragsstrafe während der Leistungserbringung selbst auch dann berufen, wenn es die Vertragsstrafe während des Vergabeverfahrens nicht gerügt hat. Deshalb kann es aus taktischen Gründen Sinn machen, den öffentlichen Auftraggeber bereits während des Vergabeverfahrens durch Rüge auch auf zivilrechtliche Bedenken gegen Vertragsstrafen und Kündigungsrechte aufmerksam zu machen. Unzumutbar können hierbei Vertragsstrafen vor allem wegen der vorgegebenen Vertragsstrafenhöhe und einer fehlenden Obergrenze aller Vertragsstrafen i. H. v. 5 % der jährlichen Nettoauftragssumme sein.
Konsequenzen bei zukünftigen Vergaben
Verwirkte Vertragsstrafen, Ersatzvornahmen, Abmahnungen und (außerordentliche) Kündigungen können nicht nur auf den laufenden Vertrag Auswirkungen haben, sondern auch für die Beteiligung des Unternehmens bei zukünftigen Ausschreibungen (anderer) öffentlicher Auftraggeber von Bedeutung sein. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
Die Verwirkung einer Vertragsstrafe dürfte diesen Tatbestand nicht erfüllen, weil es an einem gleichzeitigen Eintritt eines Schadens oder einer vorzeitigen Vertragsbeendigung fehlt. Kommt es wegen einer Schlechtleistung nach Abmahnung zu einer (außerordentlichen) Beendigung des Vertrages, ist grundsätzlich der Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erfüllt. In diesem Fall muss der öffentliche Auftraggeber prüfen, ob das Unternehmen aufgrund dieser Schlechtleistung für den ausgeschriebenen Auftrag ungeeignet und somit vom Verfahren auszuschließen ist. Ebenso kann bereits eine Ersatzvornahme eine Schlechtleistung darstellen, wenn diese erheblich oder fortdauernd ist und somit nicht nur lediglich Einzelfälle betrifft.
Liegt ein Ausschlussgrund wegen Schlechtleistung bei einem öffentlichen Auftrag vor, kann das Unternehmen sich immer noch selbst reinigen, indem es personelle und Compliance-Maßnahmen ergreift, den Schaden wiedergutmacht und zur Sachverhaltsermittlung beiträgt. Nach erfolgreicher Selbstreinigung darf ein Unternehmen trotz Schlechtleistung in der Vergangenheit nicht mehr vom Verfahren ausgeschlossen werden.
Angesichts der weitreichenden Folgen auch für zukünftige Vergabeverfahren sollten Ersatzvornahmen und erst recht die Androhung und der Ausspruch einer (außerordentlichen) Kündigungen als ultima ratio erst dann erfolgen, wenn das Vertrauensverhältnis nachhaltig und grundlegend zerstört ist. Zudem soll der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag dazu beitragen, dass die Vertragsparteien sich vertragen. Bei in öffentlichen Ausschreibungen abgeschlossenen Verträgen besteht in der Regel die Besonderheit, dass der Vertragsinhalt nicht verhandelt wird, sondern vom Auftraggeber vorgegeben wird. Dies kann dazu führen, dass Regelungen im Vertrag einseitig zu Lasten des Auftragnehmers gehen. Auch wenn diese Regelungen von einem Unternehmen vor Vertragsschuss nicht abgeändert werden können, sollten öffentliche Auftraggeber bedenken, dass für Bieter nachteilhafte vertragliche Regelungen zu einer Verteuerung des Angebotes führen können.
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