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UMWELT

Cli­ma­te Litigation

By 10. April 2024April 12th, 2024No Comments

Man­dan­ten­in­for­ma­ti­on 06/2024

Cli­ma­te Liti­ga­ti­on ist ein aktu­ell viel dis­ku­tier­tes Phä­no­men. Kli­ma­kla­gen wer­den gegen­wär­tig sowohl vor natio­na­len als auch vor inter­na­tio­na­len Gerich­ten gegen staat­li­che und nicht-staat­li­che Orga­ni­sa­tio­nen geführt. Am 09.04.2024 hat erst­mals der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te in Straß­burg über drei Kli­ma­kla­gen ent­schie­den – mit unter­schied­li­chem Aus­gang und nicht zu unter­schät­zen­der Bedeu­tung auch für den deut­schen Rechtsraum.

Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) hat am 09.04.2024 über drei Kli­ma­kla­gen entschieden.

Der EGMR mit Sitz in Straß­burg – nicht zu ver­wech­seln mit dem Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) in Luxem­burg – ist ein von den Mit­glied­staa­ten des Euro­pa­ra­tes errich­te­ter Gerichts­hof, der die Ein­hal­tung der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) – einem völ­ker­recht­li­chen Ver­trag – sicher­stel­len soll. Die EMRK gilt in Deutsch­land als ein­fa­ches Geset­zes­recht. Die Ent­schei­dun­gen des EGMR sind für die Staa­ten, die Par­tei eines vor die­sem Gerichts­hof geführ­ten Ver­fah­rens sind, unmit­tel­bar ver­bind­lich. Nicht an dem jewei­li­gen Ver­fah­ren betei­lig­te Staa­ten sind an die Urtei­le des EGMR zwar nicht gebun­den. Gleich­wohl haben die Ent­schei­dun­gen des EGMR für sol­che Staa­ten eine Vor­bild­wir­kung und wir­ken so ins­be­son­de­re auf die Recht­spre­chung der natio­na­len Gerich­te. Wenn­gleich Deutsch­land an zwei der drei jetzt ent­schie­de­nen Ver­fah­ren nicht betei­ligt war, sind die nun­mehr ergan­ge­nen Ent­schei­dun­gen daher auch für die hier­zu­lan­de geführ­te Debat­te um Trans­for­ma­ti­on und Kli­ma­schutz von Bedeutung.

In der ers­ten Kla­ge ging es um sechs Jugend­li­che, die ihrem Hei­mat­land Por­tu­gal und 32 wei­te­ren Staa­ten, dar­un­ter sämt­li­chen Mit­glied­staa­ten der Euro­päi­schen Uni­on, vor­war­fen, die Kli­ma­kri­se ver­schärft und damit die Zukunft ihrer Gene­ra­ti­on durch ver­mehr­te Hit­ze­wel­len, Wald­brän­de und Über­schwem­mun­gen zu gefähr­den. Die­se Kla­ge wur­de vom EGMR als unzu­läs­sig abge­wie­sen. Zur Begrün­dung wur­de dar­auf ver­wie­sen, dass die Klä­ger vor­ran­gig den Rechts­weg in ihrem Hei­mat­land Por­tu­gal hät­ten aus­schöp­fen müs­sen, bevor sie Kla­ge vor der EGMR erheben.

Das zwei­te Ver­fah­ren betraf die Kla­ge eines ehe­ma­li­gen Bür­ger­meis­ters einer fran­zö­si­schen Küs­ten­ge­mein­de an der Nord­see, der die fran­zö­si­sche Regie­rung mit sei­ner Kla­ge ver­pflich­ten woll­te, alle ver­füg­ba­ren Maß­nah­men zur Ein­däm­mung gegen­wär­ti­ger und zur Ver­hin­de­rung zukünf­ti­ger Treib­haus­gas­emis­sio­nen auf fran­zö­si­schem Staats­ge­biet zu ergrei­fen. Der EGMR wies auch die­se Kla­ge als unzu­läs­sig ab, aller­dings nicht wegen feh­len­der Rechts­weg­er­schöp­fung, son­dern weil es dem inzwi­schen in Brüs­sel leben­den Klä­ger an der Kla­ge­vor­aus­set­zung der „Opf­er­ei­gen­schaft“, also der indi­vi­du­el­len, gegen­wär­ti­gen und unmit­tel­ba­ren Betrof­fen­heit, fehlte.

Teil­wei­se Erfolg hat­te dem­ge­gen­über die drit­te Kla­ge: Geklagt hat­ten hier vier Schwei­zer Senio­rin­nen sowie der Ver­ein „Kli­ma­se­nio­rin­nen“, dem die vier Ein­zel­klä­ge­rin­nen ange­hö­ren. Beklag­te war die Schweiz. In ihrer Kla­ge bemän­gel­ten die Klä­ge­rin­nen Ver­säum­nis­se der Schwei­zer Behör­den bei der Abmil­de­rung der Fol­gen der glo­ba­len Erwär­mung, die sich nach Mei­nung der Klä­ge­rin­nen nega­tiv auf ihr Leben, ihre Lebens­be­din­gun­gen und ihre Gesund­heit aus­wir­ken würden.

Der EGMR hat die Kla­ge vor­ran­gig und maß­geb­lich am Maß­stab von Art. 6 EMRK, der das Recht auf ein fai­res Ver­fah­ren gewähr­leis­tet, und 8 EMRK, der das Recht auf die Ach­tung des Pri­vat- und Fami­li­en­le­bens garan­tiert, geprüft. 

Die von den vier Senio­rin­nen per­sön­lich erho­be­ne Kla­ge hat der EGMR man­gels „Opf­er­ei­gen­schaft“ abge­wie­sen. Statt­ge­ge­ben wur­de aber der Kla­ge der Ver­ei­ni­gung „Kli­ma­se­nio­rin­nen“. Zur Begrün­dung ver­wies der EGMR in tat­säch­li­cher Hin­sicht auf die grund­le­gen­den, inzwi­schen auch der brei­ten Öffent­lich­keit bekann­ten Fak­ten des men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­dels. In recht­li­cher Hin­sicht führ­te der EGMR ins­be­son­de­re aus, Art. 8 EMRK ver­mitt­le den Betrof­fe­nen unter ande­rem das Recht, durch den Staat vor schwer­wie­gen­den und nach­tei­li­gen Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels auf Leben, Gesund­heit, Wohl­be­fin­den und Lebens­qua­li­tät geschützt zu wer­den. Dem hat die Schweiz nach Auf­fas­sung des EGMR nicht hin­rei­chend ent­spro­chen, weil sie weder ein Treib­haus­gas­bud­get quan­ti­fi­ziert noch vor­ge­se­he­ne natio­na­le Reduk­ti­ons­zie­le ein­ge­hal­ten hat.

Fazit

Wie bereits der Kli­ma­be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts aus dem Jahr 2021 und das im ver­gan­ge­nen Jahr ergan­ge­ne Urteil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg, beschränkt sich das Urteil des EGMR im Wesent­li­chen dar­auf, den beklag­ten Staat zur Ein­hal­tung über­ge­ord­ne­ter kli­ma­po­li­ti­scher Ziel­vor­ga­ben, ins­be­son­de­re des 1,5‑Grad-Ziels nach dem Pari­ser Abkom­men, zu ver­ur­tei­len. Ein kon­kre­tes Maß­nah­men­pro­gramm, das die jeweils beklag­ten Staa­ten zu ergrei­fen haben, um die nach Auf­fas­sung der Gerich­te anzu­stre­ben­de Reduk­ti­on von Treib­haus­gas­emis­sio­nen tat­säch­lich her­bei­zu­füh­ren, wird in kei­ner die­ser Ent­schei­dun­gen in den Blick genom­men. Vor­der­grün­dig dient dies dazu, poli­ti­sche Ermes­sens­spiel­räu­me zu bewah­ren. Kon­se­quenz die­ser Her­an­ge­hens­wei­se ist aller­dings auch, dass wesent­li­che Gesichts­punk­te, wel­che die aktu­el­le gesell­schafts­po­li­ti­sche Debat­te (z.B. in Bezug auf das novel­lier­te Gebäu­de­en­er­gie­ge­setz, die Ener­gie­wen­de und die Trans­for­ma­ti­on im Ver­kehrs­sek­tor) domi­nie­ren, bei der recht­li­chen Bewer­tung außen vor blei­ben. Denn die Kli­ma­zie­le, deren Erfül­lung nun­mehr auch der EGMR für recht­lich gebo­ten erach­tet hat, las­sen sich nicht ohne grund­le­gen­den gesell­schaft­li­chen Wan­del und damit ver­bun­de­ne tief­grei­fen­de Grund­rechts­ein­grif­fe errei­chen. Ob dem Kli­ma­schutz im Ergeb­nis wirk­lich gehol­fen wird, indem der Raum für poli­ti­sche Bemü­hun­gen um eine Bewäl­ti­gung die­ses Kon­flikt­po­ten­zi­als und einen ange­mes­se­nen Aus­gleich durch immer mehr Gerichts­ent­schei­dun­gen auf hohem Abs­trak­ti­ons­ni­veau ein­ge­schränkt wird, darf bezwei­felt wer­den. 

Unab­hän­gig davon bleibt mit Span­nung abzu­war­ten, wie sich die Ent­schei­dung des EGMR wegen ihrer Vor­bild­wir­kung auf die Recht­spre­chung deut­scher Ver­wal­tungs- und Zivil­ge­rich­te aus­wirkt, bei denen gegen­wär­tig meh­re­re Kli­ma­kla­gen gegen staat­li­che Insti­tu­tio­nen und Indus­trie­un­ter­neh­men anhän­gig sind. Auch die Ein­räu­mung eines umfas­sen­den Ver­bands­kla­ge­rechts durch den EGMR, wel­ches das Bun­des­ver­fas­sungs­recht in sei­nem Kli­ma­be­schluss noch ver­neint hat­te, dürf­te die natio­na­len Gerich­te in den kom­men­den Jah­ren noch beschäf­ti­gen. 

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