Mandanteninformation 08/2024
Produktnachhaltigkeit als neue EU-weite Norm: Mit der neuen Ökodesign-Verordnung müssen sich Wirtschaftsakteure auf neue, erheblich strengere Pflichten einstellen.
Anfang Dezember 2023 haben die Europäische Kommission, der Rat und das Europäische Parlament eine politische Einigung über die neue Ökodesign-Verordnung erzielt, die die bisherige Ökodesign-Richtlinie (2009/125/EG) ersetzen wird. Am 23.04.2024 hat das Europäische Parlament in erster Lesung für die Regelung gestimmt. Der noch fehlende finale Beschluss des Rates gilt als Formsache und steht unmittelbar bevor. Die Verordnung wird am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten, die voraussichtlich im zweiten Quartal 2024 erfolgen wird. Gemäß zahlreicher Übergangsvorschriften wird die Ökodesign-Richtlinie allerdings zunächst teilweise weiter Anwendung finden.
Die Ökodesign-Verordnung fußt auf dem „Green Deal“ der EU und soll dazu beitragen, dessen übergeordnete Umwelt‑, Klima- und Energieziele zu erreichen. Nachhaltig konzipierte Produkte sollen zu einem EU-weiten Standard werden; ihr CO2- und Umweltfußabdruck soll unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus – von der Entwicklung über den Betrieb bis hin zur Reparatur oder zum Recycling – reduziert werden (Art. 1 Abs. 1). Dabei ist vor allem beabsichtigt, Nachhaltigkeitsaspekte von Anfang an, also bereits bei der Herstellung von Produkten, zu berücksichtigen. Dies soll zu einer Abkehr von der linearen Wirtschaft hin zu einer effizienten Kreislaufwirtschaft führen und zur Verringerung von Umwelt- und Klimaauswirkungen beitragen. Zudem will die EU mit der Novelle der Ökodesign-Verordnung die Vernichtung von gebrauchsfähigen Konsumgütern wie beispielsweise Schuhen und Textilien stoppen.
Um diese Ziele zu erreichen wird der Anwendungsbereich des Ökodesignrechts, der mit der bisherigen Richtlinie auf energieverbrauchsrelevante Produkte beschränkt war, auf nahezu alle in der EU in Verkehr gebrachten Produktkategorien erstreckt und deutlich erweitert (erfasst sind bspw. Fernsehgeräte, Geschirrspüler oder Autoladestationen). Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind u. a. Lebensmittel, Arzneimittel und teilweise Kraftahrzeuge, sofern diese bereits in anderen Rechtsvorschriften geregelt sind (Art. 1 Abs. 2).
Praxiswichtig ist, dass die neue Verordnung lediglich einen Regelungsrahmen schafft, der die EU-Kommission dazu ermächtigt, im Wege sog. „delegierter Rechtsakte“ (vgl. Art. 4 ff. und Art. 72) bestimmte Ökodesign-Anforderungen für Produkte und Produktkategorien festzulegen, die auf dem EU-Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden sollen. Die Verordnung selbst stellt somit keine eigenen produktbezogenen, technischen Anforderungen auf, sondern schafft lediglich den Rahmen für ihren Erlass. Solche Anforderungen können sich u. a. auf die Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Nachrüstbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Energie- und Ressourceneffizienz, Materialnutzung, Materialeffizienz, schädliche Stoffe, den Rezyklatanteil, sowie den CO2- und Umweltfußabdruck beziehen (Art. 5 Abs. 1). Die Europäische Kommission erlässt dazu innerhalb von neun Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung (Art. 18 Abs. 5) einen ersten auf einen Zeitraum von drei Jahren angelegten Arbeitsplan und veröffentlicht in diesem die Produktgruppen, für die Anforderungen entwickelt werden sollen (Art. 18 Abs. 3). Die Erfüllung dieser Anforderungen wird Voraussetzung für das Inverkehrbringen des jeweiligen Produktes sein (Art. 3 Abs. 1).
Es ist jedoch auch die Möglichkeit vorgesehen, dass die Wirtschaftsakteure eigene Initiativen ergreifen. Zu diesem Zweck sieht Art. 18 als Alternative zur hoheitlichen Regulierung Selbstregulierungsmaßnahmen der Wirtschaft vor. Solche sind jedoch nur für Produkte vorgesehen, die nicht in einem laufenden Arbeitsplan enthalten sind (Art. 18 Abs. 2).
Die Europäische Kommission beabsichtigt in ihrem ersten Arbeitsplan den Erlass von Rechtsakten für folgende Produktgruppen zu priorisieren: Eisen, Stahl, Aluminium, Textilien (insbesondere Kleidung und Schuhe), Möbel, Reifen, Reinigungsmittel, Farben, Schmiermittel, Chemikalien, energierelevante Produkte, Informations- und Kommunikationstechnik und sonstige Elektronik (s. hierzu auch die Pressemitteilung auf der Seite des Bundesumweltministeriums). Aufgrund ihrer besonders negativen Umweltauswirkungen stehen dabei vor allem „Fast-Fashion-Produkte“ im Mittelpunkt.
Gemäß Art. 5 der angenommenen Fassung kann mit zwei Arten von Ökodesign-Anforderungen gerechnet werden. Zum einen werden Ökodesign-Anforderungen für bestimmte Produktgruppen festgelegt (Art. 5 Abs. 4). Zum anderen können auch sog. „horizontale Ökodesign-Anforderungen“ festgelegt werden, bei denen delegierte Rechtsakte gemeinsame Informations- oder Leistungsanforderungen über mehrere Produktgruppen hinweg regeln (z. B. das Vorhandensein von chemischen Substanzen in Produkten).
Wirtschaftsakteuren und nationalen Verwaltungen ist durch die delegierten Rechtsakte mindestens 18 Monate Zeit einzuräumen, bis sie die neuen Ökodesign-Anforderungen beachten müssen. Dadurch sollen vor allem kleinere und mittlere Unternehmen bei der Umsetzung unterstützt werden. Die Kommission kann jedoch in hinreichend begründeten Fällen auch einen früheren Geltungsbeginn bestimmen (Art. 4 Abs. 4).
Für Wirtschaftsakteure ergeben sich durch die von der EU-Kommission zu erlassenden Rechtsakte verschiedene Pflichten, u. a. die Pflicht zur Einhaltung der Ökodesign-Anforderungen bei der Herstellung der regulierten Produkte, wozu neben den sog. Leistungsanforderungen (Art. 6), auch Informationsanforderungen (Art. 7) u. a. zur Haltbarkeit, Reparierbarkeit und zum CO2-/ökologischen Fußabdruck gehören, sowie die Pflicht zur Ausstellung eines digitalen Produktpasses (Art. 9 bis 15). Insbesondere der digitale Produktpass ist ein zentraler Bestandteil der neuen Verordnung. Das Vorhandensein eines solchen Passes ist zukünftig erforderlich, um Produkte in Verkehr bringen oder in Betrieb nehmen zu dürfen (Art. 9 Abs. 1). Der Pass soll bestimmte in Art. 9 Abs. 2 aufgelistete Informationen enthalten, u. a. über die Produktzusammensetzung, Reparatur- und Demontagemöglichkeiten. Der Pass muss während des gesamten Lebenszyklus des Produkts zur Verfügung stehen.
Insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher dürften von der längeren Produktlebensdauer und den geringeren Stromverbräuchen der gekauften Produkte profitieren. Die Pflicht zur Einführung eines digitalen Produktpasses (Art. 9) und (soweit erforderlich) eines Ökodesign-Labels (Art. 16, 32) soll ebenfalls wichtige Informationen über die Nachhaltigkeit von Produkten offenlegen und damit fundierte Kaufentscheidungen erleichtern.
Neu ist außerdem ein Vernichtungsverbot für bestimmte in Anhang VII aufgeführte unverkaufte Verbraucherprodukte, das Kleidung, Accessoires und Schuhe erfasst (Art. 25). Diese Regelung zielt vor allem auf Rücksendungen von Waren aus dem Online-Handel und unverkaufte Lagerbestände ab.
Darüber hinaus werden Wirtschaftsakteure verpflichtet, mit Blick auf die Entsorgung nicht verkaufter Verbraucherprodukte bestimmte Informationen, u. a. den Umfang, das Gewicht, die Entsorgungsgründe und getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Vernichtung, offenzulegen (Art. 24).
Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die Bestimmungen dieser Verordnung zu verhängen sind und treffen dabei alle erforderlichen Maßnahmen, um ihre Anwendung zu gewährleisten (Art. 74). Neu ist außerdem die Regelung zur Haftung von Wirtschaftsakteuren gegenüber Verbrauchern, wenn ein Produkt nicht den Ökodesign-Anforderungen entspricht (Art. 76).
Es wird erwartet, dass der Entwurf – vermutlich mit geringfügigen Änderungen – bis zu den Europawahlen im Juni 2024 angenommen wird. Der erste dreijährige Arbeitsplan der Europäischen Kommission wird somit frühestens im Frühjahr 2025 vorliegen. Wirtschaftsakteure müssen sich auf deutlich strengere Verpflichtungen einstellen und sollten die aktuellen Entwicklungen aufmerksam verfolgen. Insbesondere die Grundzüge des ersten Arbeitsplans sind in Art. 18 des Entwurfs bereits festgelegt, so dass betroffene Akteure bereits beginnen können, sich auf neue Regelungen vorzubereiten.
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