Mandanteninformation 13/2024
Arten- und biologische Vielfalt sind Grundpfeiler intakter Natur, des Klimaschutzes und des Lebens. Ihr weltweit massiver Rückgang wird seit längerem beklagt (z.B. „Insektensterben“, „Moorschwund“ u.a.). Politisch ist der Erhalt der biologischen Vielfalt erklärtes Ziel des europäischen „Green Deal“ und der EU-Biodiversitätsstrategie 2030. Mit der Verordnung 2024/1991 zur Wiederherstellung der Natur verfolgt der EU-Gesetzgeber das Ziel, notleidende Ökosysteme erstmals auf der Gesamtfläche der Mitgliedstaaten wiederherzustellen. Die neue Verordnung wird teilweise als Meilenstein des Naturschutzes gefeiert, wirft jedoch zahlreiche Umsetzungsfragen auf. Nach der Vorstellung des Inhalts (I.) werden die Auswirkungen der neuen Verordnung insbesondere auf die Planungs- und Genehmigungspraxis von raumbeanspruchenden (Infrastruktur-)Vorhaben einer ersten Bewertung zugeführt (II.).
I. Erstmals gesamtflächige Wiederherstellungsplanung für Ökosysteme
Die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (im Folgenden: WVO) definiert Wiederherstellungsziele für verschiedene Ökosysteme und Bestandteile von Ökosystemen, für deren Erreichung die Mitgliedstaaten Wiederherstellungsmaßnahmen in einem ersten Schritt planen und dann ergreifen müssen. Die Regelungen verfolgen vornehmlich den Zweck, zur „langfristigen und nachhaltigen Erholung biodiverser und widerstandsfähiger Ökosysteme in den Land- und Meeresflächen der Mitgliedstaaten durch die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme beizutragen“, sowie zur „Verwirklichung der übergeordneten Ziele der Union in Bezug auf den Klimaschutz“, vgl. Art. 1.
1. Wiederherstellung von Land‑, Küsten‑, Süßwasser- und Meeresökosystemen (Art. 4 u. 5)
In Bezug auf Land‑, Küsten‑, Süßwasser- und Meeresökosysteme wird zwischen der Wiederherstellung von Lebensraumtypen (LRT) vornehmlich nach der FFH-Richtlinie 92/43/EWG (vgl. Anhang I u. II der WVO, z.B. „Salzwiesen im Binnenland“ oder „Muschelriffe in der atlantischen Litoralzone“) mit dem Ziel einer „günstigen Gesamtfläche“, einerseits, und der Wiederherstellung der Habitate von Arten insbesondere nach der FFH-Richtlinie bzw. der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG mit dem Ziel einer „ausreichenden Quantität und Qualität“ andererseits unterschieden (vgl. Art. 4 Abs. 17, 5 Abs. 14). Insoweit gilt – über den gebietsbezogenen Ansatz der altbekannten FFH-Richtlinie hinausgehend – ein gesamtflächiger Ansatz. Hierbei ist ein schrittweises Vorgehen, gesteuert und konkretisiert durch einen für den Mitgliedstaat aufzustellenden Wiederherstellungsplan – siehe dazu nachfolgend unter 3. –, vorgesehen.
a. Ziel der „günstigen Gesamtfläche“ von LRT
Ziel ist es, eine „günstige Gesamtfläche“ von LRT zu erreichen (§ 4 Abs. 17, 5 Abs. 14). Insoweit gilt
- hinsichtlich der LRT von Land‑, Küsten- und Süßwasserökosystemen, dass bis zum Jahr 2030 Wiederherstellungsmaßnahmen auf mindestens 30% der Gesamtfläche der nicht in gutem Zustand befindlichen LRT erfolgen müssen, sodann bis zum Jahr 2040 mindestens auf 60% und bis zum Jahr 2050 mindestens auf 90% der Fläche des nicht guten Zustands jeder Gruppe von LRT (Art. 4 Abs. 1). Ähnlich gestufte Fristen gelten für die Wiederherstellung der nicht in gutem Zustand befindlichen LRT von Meeresökosystemen (Art. 5 Abs. 1).
- Speziell für Land‑, Küsten- und Süßwasserökosysteme gilt zudem: Mit Blick auf das bestehende FFH-Gebietsschutzrecht, das ebenfalls die Wiederherstellung der insoweit (allein) gebietsbezogen geschützten LRT verlangt, haben bis 2030 Wiederherstellungsmaßnahmen insoweit Vorrang (Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2). Für häufig vorkommende LRT, die mehr als 3% des europäischen Hoheitsgebiets abdecken, gelten unter bestimmten Voraussetzungen verringerte Flächenanteile für die Wiederstellungsmaßnahmen (Art. 4 Abs. 2 u. 3).
- Ergänzend zur Ertüchtigung vorhandener LRT sieht die WVO deren „erneute Etablierung“ (Neuansiedlung) vor. Auch in diesem Sinne sind schrittweise Wiederherstellungsmaßnahmen entsprechend der vorgenannten Zeithorizonte vorgesehen, bezogen jeweils auf (wachsende) prozentuale Anteile an der „zusätzlichen Fläche, die erforderlich ist, um die günstige Gesamtfläche für jede […] Gruppe von [LRT] zu erreichen […]“ (Art. 4 Abs. 4, 5 Abs. 2). Es besteht die Möglichkeit, die Zielerreichung auf einen überwiegenden Teil der an und für sich erforderlichen Fläche zu beschränken (Art. 4 Abs. 5 u. 6, Art. 5 Abs. 3 u. 4).
b. Wiederherstellung und erneute Etablierung von Habitaten
In zweiter Linie haben die Mitgliedstaaten die Habitate von Arten entsprechend den Anhängen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie wiederherzustellen, die erneute Etablierung eingeschlossen, soweit dies für eine „ausreichende Qualität und Quantität“ dieser Habitate erforderlich ist (Art. 4 Abs. 7, Art. 5 Abs. 5). Auch hier geht es um einen gesamtflächigen Ansatz.
Die Bestimmung der für die Wiederherstellungsmaßnahmen am besten geeigneten Flächen muss auf der Grundlage der „besten verfügbaren Kenntnisse“ und der „jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ bzw. des „jüngsten technischen und wissenschaftlichen Fortschritts“ über den Zustand der jeweils maßgeblichen LRT und der Qualität und Quantität der Habitate erfolgen (Art. 4 Abs. 8, 5 Abs. 6).
c. Verschlechterungsverbote
Ergänzt werden die Wiederherstellungspflichten um eine Kaskade von sog. Verschlechterungsverboten – ebenfalls aus dem FFH-Gebietsschutzrecht bekannt (vgl. Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie) und hier indes eine gesamträumige Beachtung fordernd – in dreifacher Hinsicht:
Erstens müssen die Mitgliedstaaten „Maßnahmen ergreifen“, mit denen sichergestellt werden soll, dass sich der Zustand von Flächen, auf denen der gute Zustand von LRT und eine ausreichende Qualität der Habitate durch die Wiederherstellungsmaßnahmen erreicht wurde, nicht erheblich verschlechtert (Art. 4 Abs. 11 UAbs. 2, Art. 5 Abs. 9 UAbs. 2). Dieses Verschlechterungsverbot greift folglich erst in der Zukunft.
Zweitens müssen die Mitgliedstaaten spätestens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des nationalen Wiederherstellungsplans – diese ist gemäß Art. 19 spätestens zum 1. September 2027 vorgesehen – „Maßnahmen ergreifen“, die erforderlich sind, um eine erhebliche Verschlechterung des Zustands solcher Flächen, auf denen sich die geschützten LRT (bereits) in einem guten Zustand befinden, zu verhindern (Art. 4 Abs. 12 Alt. 1, Art. 5 Abs. 10 Alt. 1).
Drittens müssen die Mitgliedstaaten spätestens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des nationalen Wiederherstellungsplans „Maßnahmen ergreifen“, die erforderlich sind, um eine erhebliche Verschlechterung des Zustands solcher Flächen, die für die Wiederherstellung der LRT und Habitate erforderlich sind, zu verhindern (Art. 4 Abs. 12 Alt. 2, Art. 5 Abs. 10 Alt. 2).
Indes ist ein differenziertes Ausnahmeregime vorgesehen, wobei grundlegend zwischen der Anwendung innerhalb und außerhalb von FFH-Gebieten zu unterscheiden ist (siehe dazu näher unter II.).
Innerhalb der Ausnahmetatbestände werden Anlagen der erneuerbaren Energie privilegiert: Für sie wird festgelegt, dass sie im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Die Voraussetzung, dass keine weniger schädliche Alternativlösung gegeben sein muss, findet keine Anwendung, soweit eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchgeführt wurde (Art. 6 Abs. 1). Die Mitgliedstaaten können diese Privilegierung räumlich und sachlich beschränken (Art. 6 Abs. 2).
2. Wiederherstellungsvorgaben für spezielle Gesichtspunkte der Biodiversität
Die Wiederherstellung von Land‑, Küsten‑, Süßwasser- und Meeresökosystemen wird durch zusätzliche Wiederherstellungsaufträge auf besonderen Feldern der Biodiversität ergänzt. Wiederum bedarf auch die Wiederherstellung dieser speziellen Komponenten der planerischen Konkretisierung im Wiederherstellungsplan, wobei im Einzelnen Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen sind:
- Bis zum 31.12.2030 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass in städtischen Ökosystemen kein Nettoverlust an der Gesamtfläche städtischer Grünflächen und städtischer Baumüberschirmung gegenüber 2024 zu verzeichnen ist. Ab dem 01.01.2031 müssen die Mitgliedstaaten einen steigenden Trend bei städtischen Grünflächen in städtischen Ökosystemen erreichen, z.B. „durch die Integration städtischer Grünflächen in Gebäude und Infrastrukturen […]“, sowie einen steigenden Trend in Bezug auf die städtische Baumüberschirmung, jeweils bis ein „zufriedenstellendes Niveau“ erreicht ist (Art. 8).
- Für das Ziel der Wiederherstellung der natürlichen Vernetzung von Flüssen u.a. müssen die Mitgliedstaaten die Hindernisse ermitteln, die zur Erreichung der Wiederherstellungsziele gemäß Art. 4 und des „Ziels der Wiederherstellung von mindestens 25 000 Flusskilometern in der Union zu frei fließenden Flüssen bis 2030 beizutragen; dies gilt unbeschadet entsprechender Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) 2000/60/EG. Im Zuge der Wiederherstellungsplanung sind sog. „obsolete“ Hindernisse prioritär zu beseitigen (Art. 9).
- Im Besonderen müssen die Mitgliedstaaten durch rechtzeitige und wirksame Maßnahmen bis 2030 den Rückgang der Bestäuberpopulationen umkehren und anschließend einen steigenden Trend erreichen, bis ein „zufriedenstellendes Niveau“ erreicht worden ist. Details zur Methode der Überwachung werden durch delegierten Rechtsakt der Kommission geregelt (Art. 10).
- Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten zudem zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in landwirtschaftlichen Ökosystemen verpflichtet (Art. 11). Dazu zählen jeweils fristengebundene Verbesserungen für bestimmte Indikatoren (z.B. „Grünlandschmetterlinge“ etc.), mit dem Ziel eines „zufriedenstellenden Niveaus“, sowie des Index von Feldvogelarten. Zudem müssen organische Böden, die landwirtschaftlich genutzt werden und bei denen es sich um entwässerte Moorböden handelt, wiederhergestellt werden. Hierzu sind wiederum Maßnahmen zu ergreifen, wobei mit den Jahren 2030, 2040 und 2050 ein ansteigender Flächenanteil wiedervernässt werden muss. Klargestellt wird, dass private Landbesitzer selbst aus der WVO nicht verpflichtet werden, unbeschadet des nationalen Rechts (Art. 11 Abs. 4 a.E.).
- Schließlich müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Verbesserung der biologischen Vielfalt von Waldökosystemen ergreifen (Art. 12 Abs. 1). Insbesondere muss hierzu beim Index von Waldvogelarten (Anhang VI) ein Aufwärtstrend und bei bestimmten Indikatoren (z.B. stehendes Totholz etc.) ein „zufriedenstellendes Niveau“ erreicht werden, erstmals bis zum 31.12.2030, (Art. 12).
3. Umfassender Planvorbehalt
Wie bereits erwähnt sind die vorgenannten Pflichten und Ziele überwiegend auf eine planerische Konkretisierung angewiesen. Die Mitgliedstaaten werden daher verpflichtet, einen nationalen Wiederherstellungsplan zu erstellen, der der EU-Kommission zum 01.09.2026 im Entwurf vorzulegen und (spätestens) zum 01.09.2027 erstmals zu veröffentlichen ist. Bestandteile sind insbesondere:
- Ermittlung und Quantifizierung der im Gebiet des Mitgliedstaats vorhandenen LRT, die sich nicht in gutem Zustand befinden (Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 2 lit a), Art. 15 Abs. 3, Art. 3 Nr. 4), sowie der „günstigen Gesamtfläche“ der geschützten LRT, insbesondere zwecks erneuter Etablierung von LRT (Art. 4 Abs. 4 u. 17 i.V.m. Art. 14 Abs. 2 lit. a), 15 Abs. 3, Art. 3 Nr. 8).
- Ermittlung und Quantifizierung der für die Erreichung ihres günstigen Erhaltungszustands notwendigen ausreichenden Qualität und Quantität der Habitate (Art. 4 Abs. 7 u. 17 i.V.m Art. 14 Abs. 2 lit b), Art. 15 Abs. 3, Art. 3 Nr. 2, 9 u. 10).
- Fixierung der Zeithorizonte für die Zielerreichung (s.o.) und Begründung für die Inanspruchnahme von abgeschwächter Zielerreichung entsprechend der Ausnahmemöglichkeiten (Art. 15 Abs. 1 u. 3).
- Beschreibung der zur Erreichung der Wiederherstellungsziele geplanten oder ergriffenen Maßnahmen, unter Einschluss der bereits aus Gründen des FFH-Gebietsschutzrechts und der Bewirtschaftungsziele der WRRL sowie weiterer Umweltqualitätsplanungen geplanten Maßnahmen (Art. 15 Abs. 3 lit. c) u. n)).
- Beschreibung der Maßnahmen, die von dem Mitgliedstaat zur Verhinderung einer Verschlechterung des Zustands der Flächen von geschützten LRT oder aber Habitaten von geschützten Arten ergriffen werden (Art. 15 Abs. 3 lit. f) u. h)) und Beschreibung der Art und Weise der Inanspruchnahme von generellen Ausnahmen hinsichtlich der Verschlechterungsverbote außerhalb von FFH-Gebieten im Hoheitsgebiet (s. dazu unter II.) und der jeweils zu ergreifenden Kompensationsmaßnahmen (Art. 15 Abs. 3 lit. g)).
- Bestimmung der städtischen Ökosystemgebiete (Art. 14 Abs. 4), Verzeichnis der künstlichen Hindernisse für die Vernetzung von Oberflächengewässern (Art. 15 Abs. 3 lit. i)), Ermittlung und Kartierung der land- und forstwirtschaftlichen Flächen, die der Wiederherstellung bedürfen (Art. 14 Abs. 6), Festlegung des jeweiligen „zufriedenstellenden Niveaus“ (Art. 14 Abs. 5) usw.
Die Öffentlichkeit und Betroffene müssen bei der Erstellung der Pläne eingebunden werden (Art. 14 Abs. 1 und 20). Für die ersten Überprüfungszeiträume kann sich der nationale Wiederherstellungsplan – wohl in Anbetracht des recht ambitionierten Zeitplans – auf einen „strategischen Überblick“ über die vorgenannten Punkte beschränken (Art. 15 Abs. 2 WVO).
II. Aktuelle Fragen und Auswirkungen, insbesondere für die Vorhabenzulassung
Ersichtlich sollen die Ziele der WVO strukturell durch Unterstützung und Ergänzung bestehender Richtlinien (FFH-RL, WRRL) erreicht werden, die WVO soll diesen Richtlinien „neuen Schub“ geben, so das Bundesumweltministerium. In Bezug auf die Ziele der FFH-RL liegt dies besonders nahe: Nicht nur werden FFH-LRT nunmehr auch außerhalb von FFH-Gebieten geschützt. Insbesondere werden erstmals Wiederherstellungsfristen vorgesehen.
Die WVO verpflichtet die Behörden: Die WVO ist ein weiteres Beispiel für eine sogenannte Maßnahmenplanung, wie sie aus anderen Bereichen des europäischen Umweltrechts bekannt ist (WRRL, Luftqualitätsrichtlinie und FFH-RL). Insoweit werden raumbezogene Ziele vorgegeben, die durch mitgliedstaatliche – behördliche – Planung von Maßnahmen (und nachfolgendem Vollzug) erreicht werden müssen. Dabei besteht hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen ein erheblicher Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten („Anregungen“ finden sich indes in Anhang VII der WVO). Der vom nationalen Gesetzgeber bereitgestellte „Instrumentenkasten“ umfasst insoweit regelmäßig z.B. ordnungsrechtliche Maßnahmen (Genehmigungsvorbehalte u.a.), raumordnungsrechtliche Festlegungen oder denkbar auch Instrumente indirekter Verhaltungssteuerung. Dass die Maßnahmenplanung eine anspruchsvolle Aufgabe beinhalten kann, zeigen die bekannten Zielverfehlungen für die Gewässer- oder Luftqualität (insbesondere der Streit um „Diesel-Fahrverbote“ in deutschen Städten).
Dabei wirft die neue Verordnung zuvörderst institutionelle Fragen der nationalen (gesetzlichen) Umsetzung auf: Die zentralistische Ausrichtung der Planung auf den Mitgliedstaat insgesamt steht in Widerspruch zur Planungshoheit der Länder. Von daher wird von Beobachtern die Schaffung eines „Durchführungsgesetzes“ für notwendig erachtet. Insoweit dürfte – ähnlich zu der Vorgehensweise beim Maßnahmenprogramm nach der WRRL – z.B. in Betracht kommen, dass die Länder die Maßnahmenplanung jeweils für ihre Territorien durchführen und diese mit anderen Ländern koordinieren; diese „Teilplanungen“ ergeben dann zusammengesetzt den nationalen Wiederherstellungsplan. Zwingend erforderlich dürfte insbesondere eine Aufteilung des zur Wiederherstellung der Ökosysteme jeweils erforderlichen Renaturierungsumfangs auf die Länder werden; hier dürften gesetzesvorbereitend in erheblichem Umfang Abstimmungen notwendig werden. Abzuwarten bleibt zudem, inwieweit die vorhandene Datengrundlage (z.B. aus dem Monitoring von FFH-Gebieten) hierfür ausreicht oder ergänzende Ermittlungen erforderlich werden.
Die Auswirkungen des nationalen Wiederherstellungsplans für die Planungs- und Genehmigungspraxis konkreter Vorhaben (z.B. planfeststellungspflichtige Infrastrukturvorhaben) dürften in erster Linie davon abhängen, inwieweit dem nationalen Wiederherstellungsplan bzw. entsprechenden Teilplänen nach dem „Durchführungsgesetz“ Außenwirkung zukommen wird. Geht man – parallel zu den wasserwirtschaftlichen Maßnahmenprogrammen – lediglich von einer Behördenverbindlichkeit aus, dürften konkrete Vorhaben maßgeblich über Ermessens- oder Abwägungsklauseln im Rahmen der jeweiligen Planfeststellungs- oder sonstigen Genehmigungstatbestände mittelbar an die Vorgaben der Wiederherstellungsplanung gebunden sein. Zu einem schärferen Schwert und ggf. auch Genehmigungshindernis könnte hier die Fruchtbarmachung des Raumordnungsrechts führen. Denkbar ist z.B. die Festlegung von Vorranggebieten für Renaturierungsziele (z.B. Vernässung) in Raumordnungsplänen, die im Rahmen etwa von Planfeststellungsverfahren für eine konkurrierende Landnutzung als zwingendes Recht zu beachten wären.
Schließlich stellt sich für die Ebene der Vorhabenzulassung die Frage, welche Bedeutung die sogenannten Verschlechterungsverbote – insoweit betreffend die Wiederherstellung von LRT und Habitaten – entfalten. Bekanntermaßen hat der EuGH in seinem Urteil zur Weservertiefung im Jahr 2015 das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot nach der WRRL recht streng und planunabhängig ausgelegt, dahingehend, dass ein Vorhaben schlicht zu keinerlei Verschlechterung des aktuellen Ist-Zustands eines Gewässers führen darf. Im FFH-Gebietsschutzrecht zeigte sich eine ähnlich strenge Linie bei der Diskussion um Bagatellschwellen für Stickstoffeinträge. Fraglich ist, ob für die Umsetzung der WVO nunmehr Ähnliches zu erwarten steht. Einzuhalten sind die Verschlechterungsverbote zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des nationalen Wiederherstellungsplans, d.h. regulär zum 01.09.2027. Insoweit dürften die Verschlechterungsverbote – wie im Falle der WRRL – grundsätzlich planunabhängig Geltung beanspruchen. Unklar erscheint derzeit, in welchem Umfang in Deutschland von der Relativierungsmöglichkeit außerhalb von FFH-Gebieten Gebrauch gemacht werden soll. Betreffend die Wiederherstellung von Land‑, Küsten- und Süßwasserökosystemen sind die Mitgliedstaaten befugt, den Bezugspunkt für die erhebliche Verschlechterung von LRT und Habitaten generell auf die Betrachtungsebene der jeweiligen biogeografischen Region ihres Hoheitsgebiets „hochzuzonen“ (Art. 4 Abs. 13). Voraussetzung ist indes, dass es keine Alternativen gibt und die Mitgliedstaaten bereits bis spätestens zum 19.02.2025 gegenüber der Kommission mitteilen, dass diese Ausnahme angewendet werden soll; dabei muss (im Wiederherstellungsplan, s. unter I.3.) erläutert werden, wie die erheblichen Verschlechterungen der jeweiligen (konkreten) Flächen – als weitere Ausnahmevoraussetzung – ausgeglichen werden sollen u.a. Hier sind mehrere Detailfragen zum „Ob“ und „Wie“ der fristgerechten Mitteilung noch klärungsbedürftig. Im Übrigen dürften sich die Verschlechterungsverbote aber grundsätzlich als vergleichsweise weniger streng erweisen. Dies gilt nicht nur für einer SUP unterzogene Netzausbauprojekte oder andere Vorhaben der erneuerbaren Energie, für die die Ausnahmetatbestände kraft Gesetzes als erfüllt gelten (s. unter I.1.c). Vielmehr gelten die Verschlechterungsverbote überwiegend allein für den Fall, in dem bereits ein guter Zustand vorhanden ist und insoweit dem Wortlaut nach nur für „erhebliche“ Verschlechterungen, was Spielräume lassen dürfte.
okl & partner
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